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AB 1900

Erfolgstrio

Drei geniale Köpfe, die das Bauen veränderten: Mit Firmengründer Conrad Freytag begann eine neue Ära im Bauwesen. Gustav Adolf Wayss ermöglichte bahnbrechende Versuche mit der neuen Technologie. Emil Mörsch schuf die wissenschaftliche Basis für das Bauen mit Stahlbeton. Ihre  Persönlichkeiten ergänzten sich kongenial. Das unterstützte den Siegeszug des neuen Bauverfahrens um die ganze Welt.


1900
Wayss & Freytag wird Aktiengesellschaft

Wayss & Freytag wird Aktiengesellschaft

Mit 1,2 Millionen Reichsmark an die Börse

Am 1. Februar 1900 wurde die offene Handelsgesellschaft unter Mitwirkung der Pfälzischen Bank in die Wayss & Freytag AG umgewandelt. Das Aktienkapital betrug 1,2 Mio. Mark. Der Vorstand der Aktiengesellschaft bestand aus Conrad Freytag und seinem Schwiegersohn Otto Meyer; G. A. Wayss wurde Vorsitzender des Aufsichtsrates und blieb es bis zu seinem endgültigen Ausscheiden im Jahre 1903. Ihm folgte im Aufsichtsrat Kommerzienrat Eßwein von der Pfälzischen Bank.

Die junge Gesellschaft musste große Geldmittel aufwenden, um den monolithischen Stahlbetonbau wissenschaftlich zu erforschen, da die theoretischen Ansätze und praktischen Konstruktionsdetails Hennebiques noch nicht ausgereift waren. Unglücklicherweise war am 28. August 1901 ein von einem Lizenznehmer Hennebiques in Basel errichtetes Gebäude eingestürzt, sodass das Vertrauen in die neue Bauweise stark gelitten hatte. Daraufhin ließ W&F an der TH Stuttgart umfangreiche Versuche durchführen, um das Wissen um die elastischen Eigenschaften von Stahl und Beton zu intensivieren. Die wissenschaftliche Erforschung des Stahlbetonbaues wurde zum Lebenswerk eines genialen Ingenieurs: Emil Mörsch.

1901
Der Stahlbeton wird Wissenschaft

Der Stahlbeton wird Wissenschaft

Emil Mörsch – Pionier, Professor, Praktiker

Emil Mörsch wurde am 30. April 1872 in Reutlingen als Sohn eines Tuchmachers geboren. Nach seinem Studium am Polytechnikum (heute Technische Hochschule) in Stuttgart erhielt er 1894 zunächst bei der Württembergischen Straßen- und Wasserbauverwaltung eine Anstellung als Regierungsbauführer; 1899 erfolgte die Ernennung zum Regierungsbaumeister und eine Anstellung im Brückenbaubüro der Württembergischen Staatsbahn.

Conrad Freytag lernte ihn bei einer Baumaßnahme in Stuttgart kennen und vertraute ihm am 1. Februar 1901 die Leitung des Technischen Büros der Wayss & Freytag AG in Neustadt als Vorstand an. In dieser Funktion oblag ihm neben dem Tagesgeschäft die Erarbeitung der wissenschaftlichen Grundlagen für den „Eisenbeton“. Auf der Grundlage der Berliner Versuche befasste er sich u. a. mit der Ermittlung der Zug- und Druckelastizität von Betonkörpern mit Stahleinlagen, deren Scher- und Biegefestigkeiten sowie der Haftung von Bewehrungsstäben im Beton.  Im Mai 1902 veröffentlichte er die Zusammenfassung seiner Arbeiten in der ersten Ausgabe seines Klassikers „Der Betoneisenbau, seine Anwendung und Theorie“.

Nach einer Professur an der ETH Zürich zwischen 1904 und 1908 kehrte Emil Mörsch zu W&F zurück und wurde Direktor und Mitglied des Vorstandes. 1916 folgte er dem Ruf der Technischen Hochschule Stuttgart als Ordentlicher Professor für Statik der massiven Tragwerke, gewölbten Brücken und Eisenbetonbau, blieb der Wayss & Freytag AG aber als Berater weiterhin eng verbunden.

Emil Mörsch war der herausragende Pionier des Stahlbetonbaus in Deutschland. Auch die Entwicklung des Spannbetons hat er maßgebend beeinflusst, indem er das Verfahren von Freyssinet durch sein Buch „Der Spannbetonträger“ einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Mörsch starb am 29. Dezember 1950 in Weil im Dorf bei Stuttgart.

 

1903
Die „Neustädter Klärbecken“

Die „Neustädter Klärbecken“

Die „Neustädter Klärbecken“

Am 26. November 1903 wurde in Neustadt an der Haardt mit der Wasser- uns Abwasserreinigung GmbH eine Tochtergesellschaft gegründet, die sich erfolgreich mit Entwurf und Ausführung von Kläranlagen beschäftigte. Mit zunehmender Industrialisierung war es erforderlich geworden, die Industrieabwässer vor Einleitung in das öffentliche Kanalnetz zu reinigen. Die Klärbecken wurden in Stahlbeton ausgeführt und mit den firmeneigenen Patenten war das Unternehmen in der Lage, die erforderliche Logistik zur Reinigung mitzuliefern.

In den sogenannten „Neustädter Doppelbecken“ waren getrennte Kammern für Wasser und Schlamm angeordnet. Der in den Faulkammern abgesetzte Schlamm wurde nach drei bis fünf Monaten auf drainierte Schlackenbeete verbracht, konnte dort trocknen und wurde dann zur Weiterverwendung ausgestochen und beispielsweise für Bodenauffüllungen genutzt.

Die Neustädter Klärbecken fanden nicht nur in Kommunen Anwendung, sondern auch in zahlreichen Industriebetrieben des In- und Auslandes. Hauptauftraggeber waren Unternehmen der Hochofenindustrie, Berg- und Hüttenbetriebe, Kohlewäschen und Firmen der Papier-, Zellstoff- und Lederwarenindustrie.

1904
Die Bogenbrücke bei Grünwald

Die Bogenbrücke bei Grünwald

Emil Mörsch wird Brückenbauer

Die Isarbrücke bei Grünwald war die erste Brücke, die Emil Mörsch als Technischer Direktor der Wayss & Freytag AG entworfen und ausgeführt hat. Er hat über dieses Bauwerk ausführlich in der Schweizer Bauzeitung 1904, Band XLIV, berichtet.

Das Tragsystem dieser im Zweiten Weltkrieg zum Teil zerstörten Brücke waren zwei 70 m weit gespannte Dreigelenkbögen mit Pfeilhöhen von 12,80 m. Die Geometrie war von Mörsch so gewählt worden, dass die Gewölbe unter Belastung nur Druckspannungen und keine Zugspannungen erhielten. Zur Erhöhung der Tragreserven wurden die Bögen dennoch oben und unten mit je 9 Bewehrungsstäben Ø 28 mm bewehrt. Die Gewölbestärke betrug im Scheitel 75 cm und an den Kämpfern 90 cm.

Als Fahrbahnplatte diente ein fünfstegiger Stahlbetonplattenbalken, der alle 4 m aufgeständert war.  Die Gesamtlänge der das Flussbett der Isar und den Werkkanal des Elektrizitätswerkes überspannenden Brücke war 220 m, die Herstellung nahm ein Jahr in Anspruch und die Baukosten beliefen sich auf 300.000 Mark.

1904
Die Stuttgarter Versuche

Die Stuttgarter Versuche

Von Haftspannungen und Torsionswiderständen

Im Jahre 1904 wurden an der Materialprüfanstalt Stuttgart unter Anleitung von Emil Mörsch Versuche über die Widerstandsfähigkeit von Betonkörpern gegen Verdrehung und zur Haftfähigkeit der Bewehrungsstäbe im Beton durchgeführt. Der Torsionswiderstand wurde an Hohl- und Vollzylindern ermittelt, wobei der von Mörsch vermutete Nachweis erbracht werden konnte, dass sich die Torsionsfestigkeit des Betons von der Scherfestigkeit unterscheidet.

Mörsch erkannte nach Auswertung der Versuche an verschiedenen Balken, dass die Haftspannungen aufgebogener Bewehrungsstäbe doppelt so groß ist, wie die der gerade verlegten Eisen mit Bügelbewehrung.

1905
Erste Versuche an umschnürten Betonstützen

Erste Versuche an umschnürten Betonstützen

„Béton fretté“

Im März 1904 hatte die Wayss & Freytag AG das französische Patent über spiralumschnürten Beton (Béton fretté) von Armand Considère, dem „Inspecteur Général des Ponts et Chaussées en retraite“ in Paris, erworben. Considère hatte bei Säulen aus Eisenbeton, die einem hohen axialen Druck ausgesetzt waren, eine zusätzliche Spiralbewehrung mit enger Windung außerhalb des Betonkernes angeordnet.

Mit Übernahme des alleinigen Ausführungsrechtes für Deutschland ließ W&F an der Material-prüfanstalt der TH in Stuttgart 1905 umfangreiche Versuche an spiralbewehrten Säulen durchführen. Über die laststeigernde Wirkung der Umschnürung berichtete Emil Mörsch in der 4. Auflage seines Buches „Der Eisenbetonbau“. W&F vergab an die Konkurrenz das Ausführungsrecht für Einzelbauwerke und lieferte die  vorgefertigten Spiralen.

1906
Schubversuche an Plattenbalken und Durchlaufträgern

Schubversuche an Plattenbalken und Durchlaufträgern

Mörsch begründet seine „Fachwerkanalogie“

1906 führte das Unternehmen in Neustadt an der Haardt umfangreiche Versuche an Plattenbalken und Durchlaufträgern durch, wobei die Erfassung wirklichkeitsgetreuer Schubkräfte  und deren rechnerische Erfassung im Mittelpunkt standen. Die Versuchsergebnisse gaben Emil Mörsch die Möglichkeit, seine Theorie der Schubspannungen, die in der nach ihm benannten „Fachwerkanalogie“ zusammengefasst ist, zu vertiefen und 1907 in der 3. Auflage seines Lehrbuches „Der Eisenbetonbau“ zu veröffentlichen. Diese Auflage, nun auf 376 Seiten angewachsen, erschien zum ersten Mal auch in französischer, englischer und italienischer Sprache.

Auf dem Betontag 1907 erläuterte Emil Mörsch seine Theorie anhand von Schubdiagrammen. Die ebenfalls in Neustadt gewonnenen praktischen Erkenntnisse an Durchlaufbalken stimmten mit den theoretischen Vermutungen überein. Mörsch konnte überzeugend nachweisen, dass Schubaufbiegungen an den Mittelstützen den Bügelbewehrungen überlegen waren.

In  den Folgejahren wurden weitere Versuche zur Erforschung des Stahlbetons mit wenigen Ausnahmen durch den „Deutschen Ausschuss für Eisenbeton“ durchgeführt. Dennoch hat Wayss & Freytag auf Vorschlag von Mörsch einige bemerkenswerte eigene Versuchsreihen an der MPA Stuttgart durchführen lassen:

  • 1920 zur Wirkung von Schubkräften bei Balken mit veränderlicher Höhe
  • 1925 zur Berechnung von Winkelstützmauern
  • 1927 an Balken mit halber Schubsicherung und an Balken mit voller Schubsicherung, aber mit Betonen der halben in Rechnung gestellten Festigkeit
1906
Die ersten vorgefertigten Rammpfähle

Die ersten vorgefertigten Rammpfähle

Stuttgart – Bad Cannstadt

Die ersten vorgefertigten Stahlbetonpfähle, deren Herstellung für mehr als 70 Jahre ein weiteres Standbein der Wayss & Freytag AG bedeutete, wurden 1906 in Stuttgart-Bad Cannstadt gerammt. Schon in den ersten 20 Jahren folgten weitere 600 km Rammpfähle.

Die Fertigteilpfähle erfreuten sich insbesondere in Norddeutschland großer Beliebtheit. In Hamburg ist eine Vielzahl repräsentativer Bauten auf W&F-Pfählen gegründet:

  • Elbtunnel – westliche Umgehung
  • Fernmeldeturm
  • Unilever-Hochhaus
  • Hotel Plaza
  • Allianz-Hochhaus
  • Lombardsbrücke
  • Heizkraftwerk im Hafen
  • Kreuzungsbauwerk Billhorner Röhrendamm

um nur die wichtigsten zu nennen.

Die Vielfalt der Produktpalette, vom Regelquerschnitt bis zur Sonderfertigung mit Fußverbreiterung, und die Erzielung außergewöhnlicher Gründungstiefen durch biegefeste Stahlkupplungen, machten die Pfähle für viele Jahre technisch und wirtschaftlich konkurrenzlos.

1907
Gründung des „Deutschen Ausschusses für Eisenbeton“

Gründung des „Deutschen Ausschusses für Eisenbeton“ in Berlin

Die Baubestimmungen erhalten ein Gesicht

Der „Deutsche Ausschuss für Eisenbeton“ wurde am 9. Januar 1907 gegründet und hat bis heute seinen Hauptsitz in Berlin. In ihm waren Behörden des Reiches, der Bundesstaaten und der Kommunen vertreten wie auch Hochschulen Materialprüfungsämter, Firmen der Bauwirtschaft und die deutsche Portlandzementindustrie. Der Ausschuss unterstand der Leitung des Ministeriums für öffentliche Arbeiten und hatte die Zielsetzung, einheitliche Vorschriften für die Ausführung von Eisenbetonarbeiten in ganz Deutschland zu erarbeiten.

Wayss & Freytag entsandte Emil Mörsch und den damaligen Generaldirektor Otto Meyer in den Ausschuss. Die umfangreichen finanziellen Mittel, die für die Versuchsdurchführungen auf allen Gebieten des Eisenbetons benötigt wurden, brachten die Behörden und die Industrie auf. Die Versuche wurden auf alle Materialprüfungsanstalten aufgeteilt und die Ergebnisse, wie auch noch heute,  in einer Schriftenreihe des Ausschusses laufend veröffentlicht.

In der 4. Auflage seines Buches „Der Eisenbetonbau“ veröffentlichte Mörsch die aus den Versuchen des Ausschusses gewonnenen Erkenntnisse zur Biegelehre, zum Axialdruck mit Biegung, zu den Schubspannungen und zur Beziehung zwischen Biegemomenten und Formänderungswinkeln. Eine weitere wichtige Erkenntnis war, dass statisch unbestimmte Konstruktionen aus Eisenbeton wie solche aus homogenen Baustoffen berechnet werden konnten.

1916 veröffentlichte der Ausschuss die „Bestimmungen für Ausführung von Bauwerken aus Beton und Eisenbeton“, die von allen deutschen Bundesstaaten einheitlich eingeführt wurden.

1909
Arbeitszeitverkürzung

Arbeitszeitverkürzung

Über die Arbeitszeit von „Beamten“ und den Urlaubsanspruch nach 40 Wochen

Wie einem Rundschreiben an die Angestellten, die damals noch als „Beamte“ bezeichnet wurden, zu entnehmen ist, wurde die tägliche Arbeitszeit am 1. Mai 1909 von 10 auf 9 Stunden reduziert. Die Bürozeit war genau festgelegt: von 7:30 Uhr bis 12:00 Uhr vormittags und von 14:00 Uhr bis 18:30 Uhr nachmittags.

Es sollten noch weitere 10 Jahre ins Land gehen, bis der 8-Stunden-Tag bei sechs Arbeitstagen pro Woche eingeführt wurde. Urlaubsanspruch gab es erst ab 1921 und der war mehr als bescheiden. Er betrug bei einer Mindestbetriebszugehörigkeit von 40 Wochen gerade mal drei Arbeitstage im Jahr.